Die Auslandschweizer:innen sind “äusserst besorgt” über die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union.

Die 85 Delegierten der Auslandschweizer-Vereine in aller Welt, die am Wochenende in Lugano zu ihrem 98. Jahreskongress zusammenkamen, forderten den Bundesrat auf, eine klare Strategie für die Aufrechterhaltung des Abkommens über den freien Personenverkehr auszuarbeiten.Sie verabschiedeten am Freitag einstimmig, mit einer Enthaltung, eine neue Resolution zum EU-Dossier. Darin fordern sie die Regierung auf, sich für die “vollständige Beibehaltung” des Abkommens über den freien Personenverkehr (FZA) einzusetzen, “um die Rechte der in einem EU-Land lebenden Schweizer:innen und all jener, die sich in Zukunft dort niederlassen möchten, zu gewährleisten.”Für die Vertreter:innen der Schweizer Diaspora steht fest, dass die Auslandschweizer:innen direkt von den Vorteilen der Personenfreizügigkeit profitieren. “Dank diesem Abkommen werden schweizerische und europäische Bürgerinnen und Bürger gleichbehandelt und sie geniessen eine Reihe von Rechten in den Bereichen Wirtschaft, Arbeit, Steuern und Sozialleistungen, um nur einige Beispiele zu nennen”, heisst es in der Resolution.

Zudem wäre ohne die Personenfreizügigkeit die Familienzusammenführung bei einer Auswanderung in die EU nicht mehr gewährleistet, warnt das Parlament der Fünften Schweiz. “Dies könnte dazu führen, dass Schweizer Familien auseinandergerissen werden”, lautet eine Warnung.

Mobilität, so wichtig

Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) hat das Abkommen über die Personenfreizügigkeit, welches es Schweizer:innen ermöglicht, sich in Europa frei niederzulassen und zu arbeiten, stets nachdrücklich unterstützt. Die Lobby der Schweizer Diaspora hat in den letzten Jahren sämtliche Angriffe – meist aus den Reihen der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) – bekämpft, die das 1999 von Bern und Brüssel unterzeichnete Abkommen direkt oder indirekt angriffen.

Um dieses Engagement zu verstehen, reicht ein Blick auf die Statistik: Von den 788’000 Schweizerinnen und Schweizern, die Ende 2021 ihren Wohnsitz ausserhalb ihres Heimatlandes hatten, lebten mehr als die Hälfte (57%) in einem europäischen Land. Von diesen 449’571 Personen besassen 25% ausschliesslich die Schweizer Staatsbürgerschaft und profitierten somit direkt vom Personenfreizügigkeitsabkommen.

Darüber hinaus sind drei Viertel der im Ausland lebenden Schweizer Bürger:innen zwischen 18 und 65 Jahre alt und somit potenziell berufstätig. Immer mehr von ihnen verlassen ihr Land im Laufe ihrer Karriere mehrmals, wodurch die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb des europäischen Raums immer wichtiger wird.

Folgen bereits sichtbar

Nach jahrelangen Verhandlungen wurde das Projekt eines institutionellen Rahmenabkommens im vergangenen Jahr vom Bundesrat aufgegeben. Seitdem wurden die Gespräche mit Brüssel wieder aufgenommen, ohne dass sich jedoch eine Annäherung in der berühmten institutionellen Frage abzeichnete.

Im Februar 2022 legte die Schweizer Regierung einen neuen Kurs fest: Sie will den bilateralen Weg fortsetzen. Ein neues Rahmenabkommen steht nicht auf der Tagesordnung. Der Bundesrat will Fragen wie die dynamische Rechtsübernahme, die Streitbeilegung und die Schutzklauseln sektoriell regeln.

Auch wenn es noch schwierig ist, alle Auswirkungen des Abbruchs der Verhandlungen mit der Europäischen Union zu bewerten, sind negative Folgen bereits spürbar. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Forschung, studentische Mobilität oder den Export von medizinischen Produkten, betont der ASR.

Ein vollständiger Bruch des ersten Pakets der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU, das den Text über die Personenfreizügigkeit enthält, sei heute nicht das wahrscheinlichste Szenario, meinte der ehemalige Botschafter Alexis Lautenberg, der zu einem Podium eingeladen worden war, an dem auch Bundesparlamentarier der wichtigsten Parteien des Landes teilnahmen.

“Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies im Interesse der EU ist”, versuchte er die in Lugano anwesenden Delegierten zu beruhigen.

 

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